Kapp-Putsch oder „Die Schlacht bei Zickra“
am
21. März 1920

Die Vorgänge im Deutschen Reich im März 1920
Nach dem Ende des 1. Weltkrieges1 im November 1918 kam es zunächst zur Auflösung der deutschen Monarchie und zur Gründung der Weimarer Republik2, der ersten parlamentarischen Demokratie im Deutschen Reich.
Folgende Faktoren prägten diese Zeit:

Der Krieg hinterließ schwere ökonomische und soziale Lasten, die einher gingen mit Inflation und Reparationen (Versailler Vertrag)3, die ihre Auswirkungen auf alle Schichten der Bevölkerung zeigten.

Da die demokratischen Politiker im Kaiserreich keine Staatsgeschäfte ausübten, fehlte ihnen die nötige Erfahrung und sie stützten sich bei Militär, Verwaltung und Justiz auf das aus dem Kaiserreich übernommene Personal, das aber die Demokratie ablehnte und boykottierte.

Auch große Teile der Bevölkerung lehnten die bürgerliche Demokratie und Republik ab.

Die Regierung der Weimarer Republik musste in Durchführung des Versailler Vertrages große Teile des Offizierskorps der Reichswehr entlassen, ebenso die Freikorps auflösen. Das bedeutete massiven Personalabbau, den die Führer der bewaffneten Truppen nicht hinnehmen wollten. Auf der anderen Seite wurden bewaffnete Kräfte gebraucht, um der heftigen sozialen Unruhen im Land Herr zu werden und Landesgrenzen zu schützen.
Konkreter Auslöser der Putsches bzw. militärischen Staatsstreiches vom 13. März 1920 war die am 29. Februar ergangene Verfügung zur Auflösung der Marinebrigade Ehrhardt, einer Eliteeinheit, die extrem regierungs- und republikfeindlich auftrat. General von Lüttwitz4, unter dessen Oberbefehl die Marinebrigade Ehrhardt gestanden hatte, stellte sich an die Spitze der militärischen Opposition und erklärte: „...Ich werde nicht dulden, dass mir eine solche Kerntruppe in einer so gewitterschwülen Zeit zerschlagen wird....“ Damit kündigte er der Regierung öffentlich den Gehorsam auf.

In der Nacht auf den 13. März marschierte die Brigade Ehrhardt nach Berlin, um die dort tagende Regierung Noske – der der angeforderte Schutz der Regierungsgebäude von den verantwortlichen Offizieren verweigert wurde – zu stürzen. Die Regierung rief die Bevölkerung zum Generalstreik auf und flüchtete selbst nach Dresden.
In Berlin wurde Wolfgang Kapp5 von den meuternden Truppen zum Reichskanzler proklamiert; Walter von Lüttwitz wird Reichswehrminister und Oberbefehlshaber der Reichswehr.

Aufruf zum Generalstreik gegen die Putschisten
„Arbeiter! Genossen! Wir haben die Revolution nicht gemacht, um uns heute wieder einem blutigen Landsknechtsregime zu unterwerfen. Wir paktieren nicht mit den Baltikumsverbrechern! … Es geht um Alles! Darum sind die schärfsten Abwehrmittel geboten. … Legt die Arbeit nieder! Streikt! Schneidet dieser reaktionären Clique die Luft ab! Kämpft mit jedem Mittel für die Erhaltung der Republik! Lasst allen Zwist beiseite. Es gibt nur ein Mittel gegen die Diktatur Wilhelms II: Lahmlegung jedes Wirtschaftslebens! Keine Hand darf sich mehr rühren! Kein Proletarier darf der Militärdiktatur helfen! Generalstreik auf der ganze Linie! Proletarier, vereinigt euch! Nieder mit der Gegenrevolution!“

Es gelang den Kapp-Putschisten in den folgenden Tagen nicht, sich an der Macht zu halten. Sie fanden nicht ausreichend Unterstützung und stießen in der Berliner Ministerialverwaltung auf Widerstand. Theodor Lewald, der dienstälteste Unterstaatssekretär (zumal des Innenministeriums) stellte fest, dass es im Gegensatz zu 1918 keine neue Rechtslage gebe, und verweigerte so die Auszahlung des Soldes an die Putschisten, so dass diese auch finanziell ausgezehrt wurden. So unterstützte der Deutsche Beamtenbund ab dem 15. März den Streik. Zudem fehlte es den Militärs an Einigkeit über ihre eigentlichen Ziele. Die überstürzte Natur des Putsches wird auch daran deutlich, dass die Putschisten keine Ministerlisten vorbereitet hatten. Unvorbereitet und improvisiert war auch die Kommunikation mit Presse und Bevölkerung sowie die Handhabung von Zeitungsverboten und Zensur.

Einen großen Anteil am Misslingen des Putsches hatte jedoch zweifelsohne der Generalstreik – der größte in der deutschen Geschichte. Dieser Generalstreik erfasste am Sonntag, dem 14. März, bereits vollständig Berlin und breitete sich am Montag über die ganze Republik aus. Es gab keinen Eisenbahnverkehr, in den Städten keine Straßenbahnen und Busse, keine Post, keine Telefonvermittlung, keine Zeitungen, alle Fabriken und alle Behörden waren geschlossen. In Berlin gab es nicht einmal mehr Wasser, Gas oder elektrisches Licht. Dieser Generalstreik führte zur völligen Lahmlegung der öffentlichen Versorgung und führte den Putschisten schnell die Aussichtslosigkeit ihres Unterfangens vor Augen. Er nahm ihnen jede Möglichkeit zu regieren.

Am 17. März bereits musste die selbsternannte Regierung Kapp-Lüttwitz erkennen, dass ihr Putsch mißlungen war – gescheitert am Widerstand der Zivilbehörden, der bürgerlichen Parteien und einem Generalstreik. Auch der Rückhalt in der Reichswehr war weitgehend verloren.
Der Putschversuch war nach fünf Tagen beendet. Lüttwitz verließ die Reichskanzlei und floh ins Ausland, wie es schon unmittelbar vor ihm Wolfgang Kapp getan hatte.

Der Generalstreik wurde nach Kompromißverhandlungen mit den Regierungsparteien und der Unterzeichnung eines entsprechendes Programms beendet. Am 23. März wurde die Arbeit wieder aufgenommen.

Und was passierte in Zickra?
Bericht in der Bergaer Zeitung vom 22. März 1920

Zu den Vorgängen am gestrigen Sonntag (21.03.1920)
Am vergangenen Sonnabend durchschwirrten die tollsten Gerüchte unsere Stadt. Es hieß, daß Truppen der Kapp-Lüttwitz-Regierung im Anmarsch seien, um Greiz und Gera zu entsetzen. Bewaffnete Arbeiter hatten sich dem Militär entgegengestellt.
Als die Bürger am Sonntag früh sich den Schlaf den Augen rieben, hätten sie nicht gedacht, daß sich in Berga ein Krieg im Frieden abspielt. Zwei Meldereiter brachten in der frühen Morgenstunde die Meldung, daß Reichswehrtruppen, die auf dem Boden der Verfassung der Regierung Ebert-Bauer stünden, auf dem Durchmarsche begriffen wären. Große Trupps bewaffneter Zivilisten, die aus Werdau, Leubnitz und Fraureuth stammten, schwärmten durch die Stadt, um, wie sie sagten, die Noske-Truppen zu bezwingen. Das Bild wirkte erschreckend. Es fehlte den Trupps die einheitliche Führung. Sie führten auch Maschinengewehre mit sich. In der 9. und 10. Stunde entwickelte sich im Gehege und auf der Markersdorf-Kleinkundorfer Höhe eine Schießerei. Es fielen auch am Friedhof und in der Südstraße Gewehrschüsse. Von Zickra her waren Truppen im Anzug, die nach Gößnitz marschieren wollten. Ihre Vortrupps sicherten das Gelände. Ein Maschinengewehr war im Baderberg aufgestellt, das ins Gehege und nach Markersdorf schoß. Die Truppen durchzogen zum großen Teile die Stadt in der Richtung nach der Mücke. Die bewaffneten Zivilisten kamen auch mit Lastautos in der Richtung von Großkundorf an. Die Schießereien wurden weiter fortgetragen. Die Zivilisten zerstreuten sich und traten auch zum großen Teil den Heimweg an. Ein Zug Militär hielt noch die Elsterbrücke und die Höhen der Stadt besetzt.
Auf Vorstellung des Bürgermeisters hin entschloß sich der Führer, die Stadt zu räumen und die Stellung an der Straße nach Kleinkundorf und der Mücke zu beziehen. Der Durchzug der Truppen wickelte sich ohne Zwischenfälle ab. Es mußte in der allgemeinen Aufregung der Gottesdienst ausfallen und die Konfirmandenprüfung konnte nicht stattfinden. Gegen Mittag trat Waffenruhe ein. Staatsminister von Brandenstein6 als auch Fabrikant Dix aus Weida haben mit dem Führer der Truppen auf der Zickraer Höhe verhandelt, um auf beiden Seiten Blutvergießen zu vermeiden. Durch bewaffnete Zivilisten war das Gros der Truppe in Zickra festgehalten worden. Es wurde der Durchmarsch nach Berga bzw. Weida verwehrt. Der Führer der Truppe hat sodann sich bereit erklärt, einen Teil der Waffen abzugeben unter der Voraussetzung, daß seitens der Zivilisten die Schießereien eingestellt werden und den Truppen sicherer Durchzug gewährleistet werde. Dies ist geschehen. Ein Teil der Truppen blieb in Zickra die Nacht über, der andere Teil wurde in Kleinkundorf und Culmitzsch verquartiert. In der frühen Morgenstunde passierten die Truppen, begleitet von Mannschaften der Sicherheitswehr, unseren Ort, um von Gößnitz aus in ihre heimische Garnison Freiberg und Döbeln gebracht zu werden.
Das tief Bedauerliche an dem gestrigen Vorkommnis ist der Tod mehrerer Menschenleben. Man spricht, daß auch in Weida 2 Tote zu beklagen sind. Es berührt uns sehr schmerzlich, feststellen zu müssen, daß auf Bergaer Flur 5 Tote aufgehoben werden mussten. Es sind dies

der Fabrikarbeiter Paul Hempel aus Werdau,
der Fabrikarbeiter Karl Fritzsche aus Leubnitz,
der landwirtschaftliche Arbeiter Johann Gleißner in Rittergut Markersdorf,i
die Grenzjäger Emil Karl Sacher aus Oederan i. Sa.8 und
Reinhold Heidrich aus Hirschfelde bei Zittau, vom 2. Batl. des Grenzjäger-Regiments Nr. 38.

Sehr schwer verwundet sind

Hermann Uhlig aus Werdau und
Hans Pohl aus Leubnitz.

Sanitätsrat Dr. Findeisen als auch Dr. Vopel nahmen sich sofort der Verwundeten an und bemühten sich, ihnen die Schmerzen zu erleichtern. Seitens des Bürgermeisters wurde die Überführung der toten Zivilisten nach Werdau veranlasst, ebenso wurden in später Stunde die Schwerverwundeten mittels Krankenwagens nach dem Kreiskrankenstift Zwickau überführt. An dem Aufkommen des einen Schwerverletzten ist zu zweifeln. Verdienen alle die Gefallenen mit ihren Angehörigen aufrichtiges Mitleid, so wendet sich unser Bedauern im besonderen der jungen Witwe des Johann Gleißner in Markersdorf zu. Gleißner ist der Schwiegersohn des auf Rittergut Markersdorf beschäftigten Hofmeisters Eigenwillig. Gleißner ist friedfertig seines Weges gegangen und hat als Unbeteiligter seinen Tod gefunden. Von welcher Seite Gleißner das Geschoß erhalten hat, ist mit Bestimmtheit nicht festzustellen. Gleißner war unbewaffnet und befand sich auf dem Weg nach Markersdorf. Kurz hinter der Stadt auf dem Wege vom Brunnenberg nach Markersdorf wurde er angeschossen, rechter Oberschenkel. Durch Verblutung erlitt er in der Wohnung des Herrn Sanitätsrates den Tod
Alle die Gefallenen und Verwundeten mit Ausnahme der beiden Grenzjäger sind verheiratet und hinterlassen Witwen und mehrere Kinder. Staatsminister von Brandenstein hat aus Mitteln der reußischen Regierung Frau Gleißner eine Geldspende überreichen lassen. Mit der Durchführung der Beerdigung der Gefallenen und den damit zusammenhängenden Arbeiten ist der Bürgermeister beauftragt worden. Die Aufregung, die der Tod dieser Leute in unserem Städtchen hervorgerufen hat, teilte sich allen mit. Unserer Einwohnerschaft kam spät zur Ruhe. Durchfahrende Kraftwagen erinnerten den Schläfer an den blutigen Sonntag. Wir wollen nicht rechten, das eine steht gewiß, wollen wir die uns durch den Krieg geschlagenen Wunden heilen, so müssen wie den Bürgerkrieg auf jeden Fall vermeiden. Dem Vaterlande und nicht der Partei ist die Losung. Unsere Arbeiterschaft hat auch diesmal wieder in ruhiger Weise die Ereignisse vorübergehen lassen, ohne sich aktiv an der Schießerei und der Auseinandersetzung zu beteiligen. Wir billigen die Maßnahmen der Beteiligten, die Waffen einzuziehen und in städtischen Gewahrsam zu geben. Man hätte vielleicht nicht wissen können, ob auch in unserer Stadt sich Dritte an der Schießerei beteiligt hätten, dies wäre für die Ruhe und den Frieden unserer Stadt sehr verhängnisvoll geworden. Wir dürfen aber auch bitten, daß von keiner Seite Übergriffe stattfinden, und der Bürgerfriede gewahrt wird.
Das Begräbnis der Gefallenen findet Mittwoch nachmittags 4 Uhr in Berga statt und zwar werden hier beigesetzt

Hans Gleißner aus Markersdorf und ein Soldat der Reichswehr (Karl Emil Sacher).

Das zweite Opfer der Reichswehr wird auf Veranlassung seiner Angehörigen in seine Heimat überführt, um dort beigesetzt zu werden.“

NS:
Die Gräber der beiden in Berga beigesetzten Opfer wurden bis etwa 1980 noch gepflegt, dann jedoch überraschend eingeebnet. Der Grund hierfür ist nicht bekannt.

Bericht in der Waltersdorfer Chronik, aufgezeichnet vom dortigen Pfarrer:
(Quelle: KiBu Waltersdorf; Chronik III 1890-1961, S. 203)

„1920

Mit neuen Hoffnungen, wenn auch nicht allzu großen, betreten wir das neue Jahn; aber nur leider ging zu wenig in Erfüllung von ihnen. Die Gemüter hatten sich wohl etwas beruhigt, aber der moralische und sittliche Niedergang war noch keineswegs zum Stehen gekommen. Die Preise stiegen immer mehr; je mehr unsere Valuta sank, umso stärker zogen die Preise an. An einem Ereignis aber kann ich nicht vorüber gehen, weil es für die hiesige Gegend von besonderer Wichtigkeit war. Das ist die im Volksmund genannte „Schlacht bei Berga“ am 21. März 1920.
Reichswehrtruppen kamen von Plauen und wollten wieder in ihre Garnison zurück; dabei berührten sie Gebiet von Reuß ä.L. Die gesamte Arbeiterschaft, alle Parteien zusammen, vermuteten, daß sie in Greiz gegen sie verwandt werden sollten. Erkundigungen die man in Dresden eingezogen, hatten kein befriedigendes Resultat. So zog man bewaffnet mit Gewehren und Maschinengewehren (es gab also immer noch Gewehre!) gegen die Reichswehr, um sie aus Reuß zu vertreiben, bzw. ihnen den Eintritt ins reußische Gebiet zu verbieten. Am Sonnabend den 20. März in den Abendstunden hörte man Schüsse von der Gommlaer Seite her. Am anderen Tag, am Sonntag Judica strömten immer mehr Arbeiter zusammen, vor allem aus dem Werdauer – Zwickauer Gebiet, mit Autos etc. kamen und zogen [sie] nach der Bergaer Gegend. Ich habe sie selbst, als ich nach der Sorge ging, auf der Straße Sorge-Großkundorf fahren sehen.
Als ich früh aufstand und durch das Fenster hinaussah, hörte ich Maschinengewehrfeuer aus der Richtung Wildetaube, bis wohin allmählich die Reichswehr gekommen war. Gegen ½ 9 Uhr ging ich nach der Sorge, um dort Konfirmandenprüfung abzuhalten, da hatte sich die Schießerei schon mehr nach Berga zu gezogen; und wie ich später hörte, saß die Reichswehr auf der Zickraer Höhe, während die Arbeiter von der Waltersdorfer Höhe aus schossen. Ich überlegte erst, ob ich Kirche abhalten sollte, aber da nach meiner Ansicht die Schießerei sich noch mehr nördlich, also mehr von uns weg zog, hegte ich keine Bedenken, hatte natürlich meinen Kirchner zur Beobachtung ausgeschickt, damit er mir jede Veränderung sofort melden konnte. Aber es verlief alles ohne Störung. Als ich wieder heimkehrte, hörte man noch deutlich ab und zu Maschinengewehrfeuer, auch fielen noch einige Schüsse. Halbwegs kam mir meine Frau mit Herrn Neboldt entgegen, hatte sich doch in Waltersdorf das Gerücht verbreitet, ich wäre gefangen genommen worden, Sorge sei auch besetzt worden.
Die Arbeiter hatten, falls es sich bewahrheiten sollte, versprochen, geschlossen nach der Sorge zu ziehen, um mich zu befreien; glücklicherweise war es nicht nötig, denn ohne jede Gefahr und unbehelligt kam ich nach Waltersdorf. Aber wie ich dorthin kam, war Waltersdorf wie ausgestorben, keine Menschenseele war auf der Straße zu sehen, die Schießerei hatte alle eingeschüchtert. Soviel mir bekannt geworden ist, hat sich niemand aus Waltersdorf an dem „Feldzug“ beteiligt; man hatte vom Krieg noch genug.
Nach Tisch verstummte die Schießerei; es verbreitete sich eine Nachricht, die sich im Großen und Ganzen bestätigte! Die „Schlacht bei Berga“, die leider auch nicht ohne Opfer blieb – ein Waltersdorfer wurde auf dem Weg von Berga nach Waltersdorf9 getroffen, ein Reichswehrsoldat liegt auf dem Friedhof Berga begraben – wird stets in unserer Erinnerung bleiben.

Am 01. Mai 1920 erfolgte der Zusammenschluß der einzelnen Thüringer Länder zu dem Freistaate Thüringen. Die Grenzen, die uns von Reuß ä.L. trennen und die im Kriege besonders hoch aufgerichtet wurden, sind nun in der Theorie wenigstens abgetragen worden; hoffentlich kommt es auch in der Praxis, denn davon merkte man noch nicht allzuviel in diesem Jahre.“

Die Situation im März 1920 in Zickra

Obwohl am 17. März die führenden Putschisten das Berliner Regierungsviertel verlassen mussten, kam es immer wieder zu Scharmützeln zwischen aufständiger Reichswehr und Arbeitern. Deshalb weigerten sich die Arbeiter im Volksstaat Reuß, die Waffen niederzulegen. Sie bildeten stattdessen Verbände der Arbeiterwehren.
In der Nacht vom 19. zum 20. März zogen zwei Reichswehrbataillone in der Stärke von ca. 800 Mann von Plauen kommend durch reußisches Staatsgebiet in Richtung Sachsen. Nach offizieller Auskunft ihrer Kommandeure auf dem Weg nach Westsachsen in ihre Garnison. Da die Truppenbewegung und die Berührung des reußischen Staatsgebietes nicht angekündigt waren, auch die kriegsmäßige Bewaffnung Verdacht erregte, schlugen die Arbeiterwehren der Region Alarm. Breiter Widerstand gegen die Reichswehrbataillone wurde organisiert, da man vermutete, sie wollten die (Kapp-)Putschisten in Sachsen unterstützen. Es wurde ein Plan zur Umzingelung der Reichswehrtruppen aufgestellt, für den etwa 2000 bewaffnete Arbeiter aus dem Ostthüringer-Westsächsischen Raum zur Verfügung standen. Die Einschließung sollte im Raum Zickra/Berga oder vor Weida erfolgen.

Am Morgen des 21. März errreichte die Reichswehr, von Naitschau über Langwetzendorf, Wildetaube kommend Zickra. Hier sollten sie am Weitermarsch gehindert werden. Entsprechend bezogen die Arbeiterwehren ihre Stellungen.
Minister von Brandenstein begab sich in Begleitung von Kommandeuren der Arbeiterwehren zu Verhandlungen mit der Reichswehr nach Zickra. Die Offiziere der Reichswehr erklärten, sie seien auf ihrem Weg nach Westsachsen in friedlicher Absicht über reußisches Territorium marschiert und protestierten dagegen, dass sie von bewaffneten Arbeitern daran gehindert würden. Die Forderungen der Parlamentäre, ihre Waffen nieder zu legen, wiesen sie entschieden zurück. Sie drohten, unter dem Einsatz ihrer gesamten Bewaffnung den Durchzug zu erkämpfen.
Da sich die Verhandlungen ergebnislos in die Länge zogen, begab sich Staatsrat Hermann Drechsler10, Mitglied des Aktionsausschusses, zum Verhandlungsort. Er drohte, die Arbeiterwehren würden mit schweren Waffen den Angriff beginnen, wenn die Bataillone nicht innerhalb von 20 Minuten kapitulieren.
Auf die Frage von Major Boltze11 gab er die Zahl der zum Angriff bereit stehenden Kämpfer mit 5000 an. Drechsler bemerkte weiter, die Arbeiter wären mit Geschützen und Minenwerfern ausgerüstet. Dabei hatte er stark übertrieben, denn in Wirklichkeit waren ca. 1500 – 2000 Arbeiter an der Einschließung beteiligt. Die Bewaffnung bestand in Wirklichkeit lediglich aus Gewehren, Handgranaten und einigen Maschinenge-wehren.

Die Kapitulation

Hermann Drechsler berichtet über die Situation:

„Der Major war bleich geworden, seine Hände zitterten. Nach einer Weile sagte Major Boltze mit belegter Stimme zu den Offizieren: »Dann müssen wir kapitulieren, meine Herren Kameraden.« Einige verhehlten ihren Unwillen über diese Entscheidung nicht und unterhielten sich lebhaft. Aber Brandenstein hatte die Situation erfasst: »Es ist wirklich das Beste, was Sie tun können.«, riet er dem völlig zusammengebrochenen Major, »Ich entwerfe gleich die Kapitulationsbedingungen.« Und schon glitt seine Hand über das Papier.12 Die Offiziere der Reichswehr legten Wert darauf, dass in dem Vertrag vermerkt wird, dass sie sich erst nach bewaffneten Auseinandersetzungen bereit erklärt haben, diese Vereinbarung zu unterzeichnen. Im Vertrag wurde festgehalten, dass die Truppe zwei Drittel aller Waffen und Munition den Arbeiterwehren zu übergeben hatte. Unter der Kontrolle von bewaffneten Arbeitern hatten sie sich nach Gößnitz zu begeben, wo sie mit der Bahn zu ihren Garnisonen Oschatz und Freiberg transportiert wurden.“

(Im Gegensatz zu dieser Angabe, die auch in anderer Literatur zu finden ist, schreibt Hermann Drechsler:

„Die Schlacht von Zickra war beendet. Am anderen Morgen stießen wir das Bataillon per Extrazug von Berga aus nach Sachsen ab, wo die indessen den Zug bald verließen. Ein großer Teil von ihnen verkrümelte sich.“) 13

Der von Brandenstein entworfene Kapitulationsvertrag wurde von 6 Kommandeuren der Arbeiterwehren und den beiden Kommandeuren der Reichswehrbataillone unterzeichnet. Er trat am 21. März um 13:15 Uhr in Kraft, nachdem schon seit Beginn der Verhandlungen, 09:15 Uhr, die Waffen geruht hatten.14


Vertrag über die Kapitulation15

1920 März 21, Zickra

„Zwischen den thüringischen und sächsischen Sicherheitswehren einerseits und den auf dem Boden der Reichsverfassung stehenden Reichswehrbataillone I/37 und II/38 andererseits ist, um unnötigen weiteren Kampf und Blutvergießen zu vermeiden, folgende Vereinbarung getroffen und folgender Vertrag geschlossen worden:

1.Die gesamten unter den Befehlen der Herren Major Boltze und Hauptmann Kopp stehenden Reichswehrbataillone I/37 und II/38 (ohne 6. Kompagnie, die hier nicht vorhanden ist) überliefert die in ihrem Besitze befindlichen Waffen aller Art, einschließlich der Maschinengewehre nebst Munition, der reußischen Landesregierung, welche die Aufbewahrung übernimmt.

2.Eine Anzahl der in Frage kommenden Feuerwaffen nebst Munition (höchstens ein Drittel) darf die Reichswehrtruppe behalten, desgleichen jegliches Seitengewehr.

3.Die im Umkreis um die Stellung der Reichswehrtruppen stehenden Sicherheitswehren übernehmen dagegen den vollen Schutz und die persönliche Sicherheit der unter ihrer Eskorte nach einem noch zu vereinbarenden Ort (Gößnitz) und von da aus nach ihren Garnisonen Oschatz und Freiberg abmarschierenden Truppen.
4.Von Seiten der die Vereinbarung vermittelnden Landesregierung des Volksstaates Reuß wird der Minister von Brandenstein und Herr Gerhard Thiemann16 aus Werdau die Reichswehrtruppen auf ihrem Marsche bis Gößnitz begleiten.

5.Alle zur Ausführung dieser Vereinbarung erforderlichen Bestimmungen trifft im Rahmen der bestehenden Abrede eine Kommission, in welche von Seiten der Sicherheitswehren zwei, von Seiten der Reichswehrtruppen ein Vertreter entsandt wird.

6.Es wird von beiden Vertragschließenden bestätigt, daß die Reichswehrtruppen erst nach verschiedenen Kämpfen und mehrfacher fruchtloser Aufforderung zu dieser Vereinbarung sich entschlossen haben.

Zickra, den 21. März 1920

Für die Sicherheitswehren als deren Bevollmächtigte:
(gez.) Beck (gez.) Spangenberg (gez.) Thiemann
(gez.) Träger (gez.) Sebastian (gez.) Richter
Für die Reichswehrbataillone die Herren Kommandeure:
(gez.) Kopp, Hauptmann (gez.) Boltze, Major

Bestätigt Zickra, den 21. März 1920

(gez.) Minister von Brandenstein“

 

Erläuterungen:

1 1. Weltkrieg: 28.07.1914 -11.11.1918
2 Weimarer Republik, 1918 - 1933
3 Versailler Vertrag, Friedensvertrag nach dem 1. WK, trat am 10.01.1920 in Kraft
4 Walther Freiherr von Lüttwitz, (*02.02.1859; +20.09.1942), General der Infanterie, er galt als entschiedener Gegner des Versailler Vertrags und war als Oberbefehlshaber der Brigade Ehrhardt maßgeblich am Sturz der in Berlin tagenden Regierung Noske beteiligt. Lüttwitz floh, am Abend des 17.03.1920 ins Ausland.
5 Wolfgang Kapp, (*24.07.1858; +12.06.1922), Jurist, preußischer Verwaltungsbeamter, Reichstagsabgeordneter; 13.-17.03.1920 Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident; Er trat am Morgen des 17.03.1920 von seinem Amt zurück und floh nach Schweden.
6 Carl (Eduard Franz Moritz Christoph) Freiherr von Brandenstein (*15.09.1875 Pegau; +23.07.1946 Woltersdorf b. Berlin), Verwaltungsjurist; Nov. 1918 bis 1920 Staatsminister im Volksstaat Reuß;  1920 Innenminister in Thüringen, dann Justizminister1921 Mitglied der SPD, 1927 Rückzug ins Privatleben / Brandenstein hatte seinen „Gefechtsstand“ in der Gaststätte „Fortuna“ bei Weida eingerichtet, von wo aus er zu den Verhandlungen mit der Reichswehr nach Zickra kam.
7 Johann Baptist Gleißner, Geschirrführer im Rittergut Msdf; *21.04.1896 Planegg i.B., OO seit 1914 mit Helene Eigenwillig von Msdf
8 Karl Emil Sacher, Elektrotechniker, Oberjäger der 5. Komp. des Grenzjäger-Regiments Nr 38; *1895 Görbersdorf b. Oederan; 25J
9 In den Waltersdorfer Kirchenbüchern ist für diesen Zeitraum kein Toter verzeichnet; er bezieht sich wohl auf den vorgenannten Johann Baptist Gleißner, der auf dem Weg von Berga nach Markersdorf verwundet und in Berga begraben wurde.
10 Hermann Drechsler, (*04.08.1876 Göttendorf; +16.08.1951 Gera) Weber, Redakteur der“Reußischen Tribüne“, Mitglied des Reußischen Landtages, Landrat; 1944/45 im KZ Buchenwald inhaftiert
11 Louis Arthur Boltze, (*18.03.1878; +07.11.1954), 1897-1934 Berufssoldat, zuletzt Generalleutnant der Reichswehr.
12 Drechsler, Hermann: Über die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, - Band II, Manuskript im Stadtarchiv Gera (811/2), S.106-107
13 Drechsler, Hermann: Über die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, - Band II, Manuskript im Stadtarchiv Gera (811/2), S. 107
14 Frister, Herbert: Das Gefecht bei Zickra. - In: Zeitschrift für Militärgeschichte (1970)3. - S 348
15 Abschrift aus: Die Kapitulation von Zickra, Staatliche Museen Greiz, 1971, S. 13
16 RB: Anmerkung. Thiemann ist nicht von der Landesregierung Reuß entsandt, sondern auf ausdrücklichen Wunsch des Herrn Kommandeurs von Seiten der Sicherheitswehren. Bei der Eile, mit welcher der Vertrag formuliert werden mußte, ist das nicht zum Ausdruck gekommen. (gez.)

 

 

 

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